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Livestream:Und Gott sah, dass sie streamten

Gottesdienstverbote, Kontaktsperren, Abstandsgebote. Die Auswirkungen der Corona- Pandemie stellen das Gemeindeleben auf eine harte Probe. Doch Not macht erfinderisch: Seelsorgerinnen und Seelsorger suchen in der Lockdown-Zeit nach Alternativen, um mit den Gläubigen in Kontakt zu treten. So auch Pfarrer Martin Battert, der zweimal pro Woche aus der Nürnberger St.-Michaels-Kirche „on air“ geht. Im April haben wir uns dort umgesehen.
Datum:
Veröffentlicht: 1.6.20
Von:
Dominik Schreiner
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An einem Sonntag in der Osterzeit sind die Sitzreihen der Nürnberger St.-Michaels-Kirche eigentlich gut gefüllt. Eigentlich schallt das „Kyrie eleison“ bei der Eröffnung des Gottesdienstes kräftig durch den Kirchenraum. Und eigentlich blickt Pfarrer Martin Battert während seiner Predigt in viele bekannte Gesichter. Eigentlich. Doch das Coronavirus stellt in diesen Tagen alles auf den Kopf. Mit den Versammlungs- und Gottesdienstverboten, die Mitte März in Kraft getreten sind, bleiben die Kirchenbänke leer. Statt den Antlitzen seiner Gemeindemitglieder wendet sich Battert nun einem kleinen grauen Kästchen zu – einem Smartphone der neuesten Generation.

Dass so etwas einmal zu seinem Alltag als Pfarrer gehören würde, das hätte der 50-Jährige niemals gedacht. „Aber man wächst mit seinen Aufgaben“, scherzt er und erinnert sich an den Beginn des Corona-Lockdowns: Es war ein Montag, an dem das gesellschaftliche Leben weitestgehend heruntergefahren wurde. Wie alle anderen standen auch er und sein Pastoralteam vor der Frage, wie man nun weitermachen könne. Denn den Glauben ebenfalls auf Lockdown zu stellen, das gehe gar nicht, da waren sie sich einig.

Schnell schwebte eine Idee im Raum: Wenn die Menschen nicht in den Gottesdienst kommen können, warum nicht den Gottesdienst zu den Menschen bringen? In den Sozialen Medien waren Pfarrei und Seelsorgebereich ohnehin schon vertreten, und ein Smartphone mit eingebauter Kamera hat heutzutage jeder in der Hosentasche – auch ein Pfarrer. „Dass wir uns diese Werkzeuge in der neuen Situation zu Nutze machen“, so Battert, „das war dann nur noch eine logische Konsequenz.“

Ein paar Wochen später ist die Zeremonie vor der Zeremonie schon fast Routine: Gemeinsam mit Gemeindereferentin Lena Neidlein tritt Battert vor die Altarinsel, beide zücken ihr Smartphone, öffnen die Apps von Facebook und Instagram und steuern zielgerichtet den Live- Button an. Stative stehen bereit, die Kabelverbindung für den Ton ist eingesteckt. Ein fachmännisches Nicken und schon sind gleichzeitig die Anfangstöne der beiden Livestreams zu hören. Noch während der Zelebrant auf dem Weg zurück in die Sakristei ist, um sich für den Einzug zu positionieren, wählen sich 12 Zuschauerinnen und Zuschauer ein. Später werden es mehr – über 40 auf Facebook und beinahe 20 auf Instagram.

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Viele sehen sich auch im Nachhinein die Aufzeichnung des Streams an, weiß Battert. Dennoch war es ihm wichtig, die Gottesdienste live zu übertragen: „Es ist schön, zu wissen, dass man in diesem Augenblick mit Menschen versammelt ist – auch wenn diese nicht in der Kirche sitzen, sondern zu Hause vor dem Smartphone, dem Tablet oder dem Computer.“ Dass das Verbundensein mit der Gemeinde dem Seelsorgeteam viel bedeutet, erkennt man auch nach der Feier: Noch während die Schlussakkorde des Orgelspiels erklingen, richten Battert und Neidlein ihre Augen auf die Telefone. Heute haben viele zugesehen. Lob an die Organistin gibt es, das wird gleich weitergegeben. Ob man die Predigt irgendwo nachlesen könne, wird gefragt – und prompt beantwortet.

Aber auch während der Gottesdienste versuchen Battert & Co. die Menschen zu Hause miteinzubeziehen. Sei es durch kleine Aktionen wie das gemeinsame Singen eines Kanons oder die Auswahl eines Schlussliedes. Oder sei es durch elementarere Gesten: „Am Palmsonntag etwa haben wir die Gläubigen dazu animiert, ihre Palmbuschen selbst zu segnen.“ Als Pfarrer habe er dazu lediglich eine Hilfe gegeben, indem er das Segensgebet vorgebetet habe. Die Segnung konnten die Christinnen und Christen kraft ihrer Taufwürde dann selbst vollziehen, indem sie die Worte nachsprachen. Ähnlich wurde es auch mit der Segnung des Osterwassers und der Osterspeisen gemacht.

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Es ist schön, zu wissen, dass man in diesem Augenblick mit Menschen versammelt ist – auch wenn diese nicht in der Kirche sitzen, sondern zu Hause vor dem Smartphone, dem Tablet oder dem Computer.“

-Martin Battert, Pfarrer in Nürnberg

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Weil man aber bei allem Zuspruch für das Prinzip der Livestream- Gottesdienste auch die Gemeindemitglieder nicht vergessen wolle, die nicht daran teilnehmen können oder wollen, hätten diese ein Heft zugesandt bekommen, in dem die entsprechenden Segensgebete und weitere Gebetshilfen und Impulse zu finden waren, ergänzt Battert. Noch vor der Karwoche habe man den älteren Gläubigen im Seelsorgebereich Nürnberg Mitte-Nord-West außerdem einen Brief geschickt mit Hinweisen auf die kirchlichen und kommunalen Unterstützungssysteme, Angebote für einen Einkaufsservice und die Telefonseelsorge. Natürlich wurde dort auch die Telefonnummer vom Pfarramt angegeben, wo tagsüber fast immer jemand aus dem Pastoralteam zu erreichen ist und für seelsorgerische Gespräche zur Verfügung steht. „Tatsächlich sind wir über das Telefon jetzt deutlich besser erreichbar als im Normalbetrieb, wo täglich Termine und Sitzungen anstehen“, erklärt der Pfarrer. Dennoch würden sich den Normalbetrieb sicher alle wieder wünschen. Denn auch wenn das mit den Livestreams ganz gut funktioniert – Battert kann sich vorstellen, das Ganze in der Zeit nach Corona ab und zu wieder aufzugreifen –, trotzdem ist ein Gottesdienst per Internet einfach kein vollständiger Ersatz für eine herkömmliche Messfeier. Kann er auch gar nicht sein. Alleine schon, weil die Möglichkeit der Eucharistie fehlt. Viele Gläubige vermissen das schmerzlich, das berichten sie dem Pfarrer immer wieder. Abgesehen davon: Einen Gottesdienst ohne Besucherinnen und Besucher zu feiern, das werde auch für Battert selbst immer befremdlich bleiben, sagt er: „Selbst wenn man im Geiste verbunden ist, die Reaktionen der Menschen fehlen schon. Wo ich normalerweise Gesichter sehe, da sind die Bänke leer.“ Doch für die Zeit, in der es eben nicht anders geht, da hat er einen Trick, um sich davon abzulenken: Wenn er am Ambo steht, seine Predigt hält und dabei in ein kleines graues Kästchen schaut, dann stellt er sich die Menschen vor, die da eigentlich gerade vor ihm sitzen – virtuell. Dann weiß er: Eigentlich ist die Kirche nicht leer. Die Bänke sind voll. Eigentlich.