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Ein Zuhause für Esays Zwillinge:Asyl unter dem Kreuz

Asyl Vierzehnheiligen
Die Franziskusschwestern in Vierzehnheiligen beherbergen Flüchtlinge. Auch Nichtchristen. Warum das gutgeht und von Schwester Alexia Flexibilität beim Beten erfordert.
Datum:
Veröffentlicht: 1.12.16
Von:
Hendrik Steffens

Schwester Alexia sieht auf die Uhr. „Nikita muss nachher zum Zahnarzt.“ Vorher hilft sie dem neunjährigen Ukrainer und seiner kleinen Schwester bei den Schulaufgaben. Zwischendurch schaut sie nach Esay aus Äthiopien und ihren drei Wochen alten Zwillingen, die morgen zum Routine-Check zum Kinderarzt müssen. Donnerstag hat Sofia dann ihren Zahnarzttermin. Dass die ehemalige Lehrerin seit einigen Jahren pensioniert ist, tut nichts zu Sache. Schwester Alexia ist die Flüchtlingsbeauftragte im Kloster.

Bei unserem Besuch im Frühjahr beherbergt das Mutterhaus in Vierzehnheiligen, in dem 45 Franziskusschwestern leben, zwölf Flüchtlinge aus drei Nationen: Ukraine, Sierra Leone und Äthiopien. Kinder und Erwachsene, Christen und Moslems leben unter einem Klosterdach. Für die Schwestern ist das eine Herausforderung. Aber notwendig.

Asyl Vierzehnheiligen

Die Schwestern haben schon vor 30 Jahren Flüchtlingen geholfen

„Wir konnten nicht wegsehen“, sagt Schwester Regina Pröls. Die Generaloberin erinnert an die Zeit kurz nach Ausbruch des Syrischen Bürgerkriegs. „Die Berichte über Unruhen in Damaskus haben mich sehr berührt.“ Syriens Hauptstadt sei ein zentraler Ort für die Entstehung des Christentums gewesen. „Genau an der Stelle war und ist nun so viel Unfrieden. Da müssen wir helfen“, sagt Pröls. Was nicht heiße, dass nur Syrern geholfen werden solle, sondern allen Flüchtlingen.

2014 wandte sich die Generaloberin an das Landratsamt. Das Kloster solle als dezentrale Unterkunft herangezogen werden. Im Ausländerbüro der Behörde erinnerte man sich an frühere Initiativen der Vierzehnheiliger Schwestern: Bereits vor über 30 Jahren haben sie Menschen aufgenommen, die vor dem Jugoslawien-Krieg geflüchtet sind. Zwei von ihnen, Kinder der Geflüchteten von damals, arbeiten heute im Mutterhaus. „Sie führen jetzt unsere Ukrainer ins Leben in Franken ein. So schließt sich ein Kreis“, sagt die Generaloberin und lächelt.

Asyl Vierzehnheiligen

Tetjana ist sehr traurig, weil sie die Heimat so vermisst."

Asyl Vierzehnheiligen

Im Herbst 2014 durfte die ukrainische Familie Cherkasov in eine kleine Wohnung in dem Mutterhaus ziehen. Die vier fünf waren aus ihrer Heimat Donezkt geflohen, die in dem Konflikt zu einem Hexenkessel geworden war.

Familienvater Zakhar hatte in Donezk als Elektriker gearbeitet. Als die Lage am Arbeitsmarkt schlechter wurde, verdiente er als Bäderbauer den Lebensunterhalt für seine Frau Tetjana und die beiden drei Kinder, Nikita (9), und Sofia (6) und Darina (4). Dann kam der Krieg. Prorussische Rebellen schossen auf Ukrainetreue, Nachbarn schossen aufeinander. Donezk wurde zum Zentrum des ukrainischen Bürgerkriegs.

Asyl Vierzehnheiligen

Gerade ist Zakhar bei seiner neuen Arbeit – ein Lichtenfelser Betrieb hat ihn als Elektriker angestellt. Die Kinder kommen aus der Schule. Sie haben einen neuen Freundeskreis und bringen gute Noten heim. Die Mutter quält oft die Sehnsucht. „Tetjana ist sehr traurig, weil sie die Heimat so vermisst“, sagt Schwester Alexia. Doch Heimkehr ist momentan kein Thema. Der Krieg zwischen Separatisten und Regierungstruppen in Donezk hält an. Tetjana will nicht darüber reden.

Für die Kinder Nikita, und Sofia und Darina scheint die Krise in der Heimat in diesem Moment weit weg. Der blonde Junge tritt an die große Modelleisenbahn, die er von einem Wohltäter geschenkt bekam und mit seinem Vater gebaut hat. Fingerlange Waggons steuert er zwischen zentimeterkleinen Bäumen und Fachwerkhäuschen unter einer puderschneebedeckten Felslandschaft her. Mit der Eisenbahn ist der Neunjährige allerdings nicht ausgelastet. Er spielt auch Fußball, Klavier und Posaune. Um es zu beweisen stimmt er „Nun freut euch, ihr Christen“ „Großer Gott wir loben Dich“ auf dem Blasinstrument an. Dass es ein geistliches Lied ist, ist kein Zufall. Die ukrainische Familie, Baptisten, seien so religiös, „da können wir uns fast noch eine Scheibe abschneiden“, lacht Schwester Alexia.

Ich habe ihn gefragt, ob er mal eine Moschee besuchen möchte."

Asyl Vierzehnheiligen

Doch nicht alle im Mutterhaus beheimateten Flüchtlinge sind Christen. Mohammed aus Sierra Leone etwa ist Moslem. „Er muss respektieren, dass wir im Kloster überall christliche Symbole haben. Und das tut er auch“, sagt Schwester Regina. Mohamed sei allerdings nicht eben strenggläubig. „Ich habe ihn anfangs gefragt, ob er mal eine Moschee besuchen möchte“, sagt Schwester Alexia. Das habe er verneint. Nur eigene Pfannen und Töpfe hat er sich gewünscht, um seine Speisen nicht in Kontakt mit Schweinefleisch zu bringen. „Das respektieren wir“, sagt Schwester Alexia. „Ich glaube, wenn es mehr Respekt und gegenseitige Wertschätzung zwischen den Religionen gäbe, hätten wir viel weniger Leid auf der Welt.“

Stundengebet zwischen Behördengang und Arzttermin
In dem Kloster zeigt sich, dass friedliches Miteinander unterschiedlicher Religionen möglich ist. Klar, „normaler Klosteralltag“ mit Stundengebet ist für Schwester Alexia – zwischen Chauffeurdienst, Behördengängen und Arztterminen – nur bedingt möglich. „Aber alle wissen: Wenn Gebetszeit ist und ich mit den Schwestern in der Kapelle bin, kann ich nicht mit ihnen zum Einkaufen fahren“, sagt die 70-Jährige. Wenn es allerdings dringender sei, ein Kind sonst nicht zur Schule komme oder ein Arzttermin anfalle, „dann hat das Vorrang. Ich bin sicher, dass das auch im Sinne Jesu ist“.

Vor drei Wochen hat Esay Sesay Zwillinge bekommen. In der kleinen Wohnung, die sie mit ihrem Ehemann Mohamed und einem weiteren Kind bewohnt, steht ein Gitterbett. Eingekuschelt in rosa Decken schlafen die neugeborenen Monika und Elina. Schwester Alexia schaut kurz nach dem Rechten, erinnert an den bevorstehenden Termin beim Kinderarzt. „Termine und Pünktlichkeit sind manchmal so eine Sache in anderen Kulturen“, lacht Schwester Alexia. Aber das sei in den Griff zu bekommen. Gemeinsam.