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Artefakte mit Geschichte:Der Schatzbewahrer

Schwarzmann
Den Begriff „Schatz“ hört Dr. Peter Schwarzmann nicht so gern. „Man redet immer von Kirchenschätzen. Aber die Stücke machen die Kirche nicht reicher, sondern kosten sie viel Geld“, sagt er. Die Altäre, Gefäße, Monstranzen oder prachtvollen Messgewänder seien unverkäuflich. Doch sie müssten erhalten und restauriert werden. „Die Wertgegenstände sind für unseren Glauben, historisch und ideell sicherlich ein Schatz. Aber materiell gesehen sind sie eine Verantwortung.“ Dieser nimmt er sich als Inventarisator und Konservator des Erzbistums Bamberg seit 24 Jahren an.
Datum:
Veröffentlicht: 1.12.16
Von:
Hendrik Steffens

Im Mittelgang der Gunzendorfer Kirche „St. Nikolaus“ liegen Koffer und Tragetaschen. An einem kleinen Fotostudio, bestehend aus einer Hohlkehle, zwei Leuchtern und einer Kamera auf einem Stativ, fotografiert Schwarzmann in schwarzer Funktionsjacke und blauen Jeans einen goldenen Messkelch. Mit einer Lupe untersucht er die feinen Emaille-Medaillons auf dem Fuß des Gefäßes. Daten wie Maße, Alter, Wert und Herkunft sammelt er in einer Datenbank. „Das Beschauzeichen, der Pinienzapfen, zeigt, dass der Kelch in Augsburg gefertigt worden ist. IDS ist die Meistermarke von Johann David Schoap“, weiß Schwarzmann, der nur noch selten Bücher braucht, um Kunst zu bestimmen. Die Machart des Zapfens und die bekannten Lebensdaten des Künstlers engen den Entstehungszeitraum des Kelches auf die Jahre zwischen 1716 und 1719 ein.

Nach 24 Jahren in seinem Beruf kennt Peter Schwarzmann nicht nur Kunstepochen, sondern auch „seine“ Kirchen im Erzbistum bis ins Detail. Er zeigt auf ein spätgotisches Madonnenbild an der Westwand des barocken Kirchenschiffs: „Diese Madonna haben sie in der Nachkriegszeit unter dem Dach gefunden. Niemand wusste, dass sie da lag.“ Heute weiß man, dass dies das kostbarste Stück der gesamten Kirche ist. Zwischen Fledermäusen, Dohlendreck und Spinnenweben hat er selbst schon Möbel aus dem 15. Jahrhundert, feinste Messgewänder und Schmuck entdeckt. Oder einen unscheinbaren Messkelch, der selbstverständlich in der wöchentlichen Messe gereicht wurde, als uraltes Einzelstück identifiziert.

„Es ist meine Aufgabe, zu dokumentieren, aber auch die Leute vor Ort zu sensibilisieren“, sagt Schwarzmann. Was er seit 1993 tut, nennt er „Berufung. Ich glaube, sonst würde das nicht gehen“. Bei seinen Ortsterminen durchstreift er Keller, in denen er manchmal Asbest, Glaswolle, Schimmelsporen und Insektizide atmet und traut sich über morsche Hölzer. Einige Male sei er durch Dachbodendielen gebrochen oder Leitern hätten nachgegeben. Den schlimmsten Unfall hatte Schwarzmann Mitte der 90er Jahre: Als er in einem Turm ausrutschte, ein morsches Geländer nachgab und er rückwärts auf einen Eichenbalken prallte, splitterte ein Stück Rückenwirbel ab. „Ich lag zwischen Taubendreck und Staub und dachte: Das war’s jetzt.“ Niemand war da, der hätte helfen können. Unter Schmerzen musste Schwarzmann es zum nächsten Telefon schaffen, um Hilfe zu rufen. „Danach habe ich mein erstes Handy gekauft.“

Schwarzmann

Mit der Inventarisation werde ich in diesem Leben nicht fertig."

Schwarzmann

Inventar erfassen ist das eine. Als Konversator sorgt der 54-Jährige aber auch dafür, dass die Mesner und Hausmeister in den Gemeinden die Artefakte ordnungsgemäß behandeln. Ein barocker Sockel am Westaltar in „St. Nikolaus“ zeigt Abnutzungserscheinungen. „Da wurde feucht drüber gewischt. Ich rede mir den Mund fusselig, dass vergoldete Flächen nur trocken gereinigt werden sollen“, sagt Schwarzmann und weist auf eine Stelle, an der die dünne Schicht Edelmetall abgewetzt ist und der rote Bolusgrund durchschimmert.

Hinter dem Altar weist Schwarzmann auf Traghimmelstangen, die in einem Ständer lehnen. „Das ist Service für Banditen. Die nehmen die Stangen, fischen damit die Engel vom Hochaltar und fangen sie mit der Altardecke auf.“ Etliche hundert oder gar tausende Euro könnten sich Diebe so verschaffen, wenn die Figuren nicht angeschraubt seien. Wenn da nicht Peter Schwarzmann wäre. Durch seine Inventarlisten können Gegenstände von der Polizei als Diebesgut identifiziert werden, wenn sie auf den Markt gelangen. Viele Gauner konnten überführt und Kunstgegenstände zurückgebracht werden dank der genauen Arbeit des 54-Jährigen.

Sieben- bis achthundert Seiten umfasst die Dokumentation des Inventars dieser Pfarrei. „In Gößweinstein habe ich 2500 Seiten geschrieben“, sagt Schwarzmann. Die Inventare arbeitet er im Winter aus, die wärmeren Tage des Jahres sind für die Erfassung und für Ortstermine reserviert. Eine gute Woche braucht der 54-Jährige, um eine kleinere Kirche zu untersuchen, eine halbe Woche für eine Sakristei oder ein Pfarrhaus. Es ist Peter Schwarzmanns Lebenswerk. Denn fertig mit der Inventarisation, die seit 1993 andauert, wird er „in diesem Leben sicher nicht“.

Zur Person

Dr. Peter Schwarzmann hat an der Universität Bamberg im Hauptfach Kunstgeschichte und in den Nebenfächern Denkmalpflege, Archäologie und Bauforschung studiert. Die Erstellung der Inventare erfolgt auf Veranlassung des Vatikans von 1971 (Päpstliche Kulturgüterkommission). Die Inventarisation wird in allen katholischen Bistümern durchgeführt. Im Januar 1993 begann die Arbeit im Erzbistum Bamberg mit der Einstellung von Dr. Peter Schwarzmann.