Jugendtreff auf Rädern:Der liebe Gott im Doppeldeckerbus
An Kirche erinnert auf den ersten Blick nichts: Ein Kreuz sucht man vergebens. Aus den Lautsprechern kommen keine Kirchenlieder, sondern Popmusik. An den Wänden hängen Bildschirme statt Heiligenbildern. Jugendliche kommen und gehen, sitzen in den schwarzen Ledersitzen, unterhalten sich oder sehen sich Videos auf dem Handy an. Ungezwungen ist wohl das Wort, das die Atmosphäre am besten beschreibt. Eine ganz normale Mittagspause im Jugendspirituellen Zentrum, einem schwarzen Doppeldeckerbus, der seit April 2016 auf dem Hof des Kronacher Schulzentrums steht.
Das Jugendspirituelle Zentrum ist ein Treffpunktangebot für die 2200 Schüler aus den fünf Schulen des Kronacher Schulzentrums. Darüber hinaus aber auch ein Raum, um sich über Dinge auszutauschen, die in normalen Pausenhofgesprächen manchmal zu kurz kommen. Schwierigkeiten in Freundschaften und Liebesbeziehungen sind oft Thema. „Hier ist alles viel offener als im Klassenzimmer und man kann Dinge mal aus einer ganz anderen Perspektive betrachten“, sagt die 15-jährige Jennifer, die wie viele andere Schüler oft ihre Freistunden und Pausen im Bus verbringt.
Heute ist Donnerstag. Wie jede Woche gibt es nach der Mittagspause einen Impuls für die Jugendlichen. Freiwillig natürlich. Bernd Sorgenfrei, Gemeindereferent und Leiter des Jugendspirituellen Zentrums, zeigt einen Kurzfilm, in dem es um den Wert des Menschen im Kontext des Fortschritts geht. Anschließend diskutiert er mit den Jugendlichen darüber. Danach wird es allmählich ruhiger im Bus, der Nachmittagsunterricht in den Schulen beginnt. Einige Mädchen, die frei haben, bleiben noch ein bisschen. Am Anfang sind sie zurückhaltend, als sie nach ihrem Glauben gefragt werden und danach, warum sie regelmäßig in „ihren“ Bus kommen. Im Gespräch wird deutlich: Glaube, Gott – für die Jugendlichen sind das Wörter, die eng mit dem Kirchengebäude verbunden sind oder mit Religionsunterricht. Die irgendwie nichts mit dem „richtigen“ Leben zu tun haben. Der Bus dagegen gehört zu ihrem Alltag. Und genau da setzt das Konzept des Jugendspirituellen Zentrums an.
„Unser Ziel ist es nicht, aus den Jugendlichen lauter fromme Katholikinnen und Katholiken zu machen, sondern sie auf einem Stück ihres Weges zu begleiten, ihnen zu helfen, Entscheidungen zu treffen, und ihnen Möglichkeiten anzubieten, im Glauben Halt zu finden“, sagt Bernd Sorgenfrei. Der 41-Jährige ist so etwas wie eine Schlüsselfigur des Jugendspirituellen Zentrums. „Personelles Angebot“ heißt das in der Fachsprache. „Das Wichtigste, das ich einbringe, ist Beziehung“, erklärt er seine Rolle. „Ich stifte Beziehungen zwischen den Jugendlichen und baue selbst Beziehung zu ihnen auf.“ Nicht um zu missionieren, sondern um Raum zu schaffen für die Entdeckung der eigenen Spiritualität. Er hört zu, wenn die Jugendlichen erzählen, was ihnen gerade wichtig ist. Manchmal gibt er Tipps, begründet seine Ansichten aus seinem Glauben heraus – nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern lebensnah und mit Überzeugung. Die Schüler spüren, dass er sie ernst nimmt. „Hier kann jeder einfach so sein, wie er ist. Und man kann Bernd alles anvertrauen“, sagt Jennifer.
Ein Thema, das viele Jugendliche am Schulzentrum bewegt, ist die strikte Trennung zwischen den Schülern der verschiedenen Schularten. Die Gymnasiasten bleiben ebenso unter sich wie die Realschüler oder die Mittelschüler, erzählt Carina (14). Kein Miteinander, ein Nebeneinander voller Vorurteile. „Für alle, die schon einmal den Bus besucht haben, ist das viel besser geworden“, sagt die 14-Jährige, die vorher nur wenig mit Gleichaltrigen aus den anderen Schulen zu tun hatte. Heute gehören einige von ihnen zu ihren Freunden. Sorgenfrei ist froh, dass das Jugendspirituelle Zentrum zu einem Ort der Begegnung für „eine große Bandbreite von Jugendlichen“ geworden ist – unabhängig davon, auf welche Schule sie gehen, oder welcher Religion und Konfession sie angehören.
Das Projekt, das in Trägerschaft des Jugendamtes der Erzdiözese Bamberg liegt, ist bayernweit einmalig. Und es hat Modellcharakter. Sorgenfrei jedenfalls ist zufrieden: „Das Jugendspirituelle Zentrum wird gut angenommen und wir haben viele unserer Ziele erreicht“, sagt er. Bleibt noch eine Frage: Warum eigentlich ein Bus? „Um mobil zu sein und Jugendarbeit an unterschiedlichen Orten im Landkreis anbieten zu können“, sagt Sorgenfrei. Meistens steht der Bus, der früher als Tourbus auf Festivals in ganz Europa unterwegs war, allerdings auf dem Schulhof. „Da ist noch Luft nach oben“, sagt Sorgenfrei. Sein Wunsch ist es, dass das Jugendspirituelle Zentrum in Zukunft mehr als bisher unterwegs ist – getreu seinem Motto, das in großen silbernen Buchstaben auf seiner Seite steht: „Wheel the spirit“ – dem Glauben „Räder machen“.