Beten 2.0:Digitale Wege zu Gott
Eine weiße Kerze in einem orangefarbenen Kreis erscheint auf dem Display des Tablets. Dann vermeldet die App: „Diesen Monat kamen 268.668 Gebete dazu“. Simon Lochbrunner scrollt durch die Einträge: Da betet einer um Beistand bei einer Bergtour, eine Frau bedankt sich, dass sie endlich schwanger ist und ein anderer bittet darum, von seinen Panikattacken befreit zu werden. Gebete unterschiedlichster Art auf Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch versammelt in einer App – der Gebetsapp des Papstes. Simon Lochbrunner hat Anteil daran, dass auch immer mehr deutsche Gebete darunter sind. Von Nürnberg aus leitet er das Weltweite Gebetsnetzwerkes des Papstes für den deutschen Sprachraum.
Am Computer zeigt der 34-Jährige einen Film, den er produziert hat. Ausgehend von einem Fleckchen Erde zoomt die Perspektive immer weiter heraus, aus dem Land, dem Kontinent, ins Sonnensystem, in die Milchstraße und immer weiter in unbegreifliche Dimensionen. Ein blaues Quadrat markiert dabei durchgehend den Ursprungsort. „Obwohl wir Gott nicht begreifen können, glauben wir als Christen, dass da etwas Größeres ist, das uns aus seiner Unendlichkeit heraus liebt.“ Deshalb müsse man Wege finden, diesen Glauben verständlich zu machen. „Gottes Liebe ist eine Analogie“, stellt Lochbrunner fest. „So, das war das ‚Simon-Lochbrunner-Glaubenseinmaleins‘“, meint er dann lachend, nimmt die Brille mit dem schwarzen Gestell vom Tisch, setzt sie vor die dunkelbraunen Augen und lehnt sich im Schreibtischstuhl zurück.
Statt Kollar trägt er ein rot-blau-kariertes Hemd, die Ärmel zu den Ellenbogen nach oben gekrempelt, dazu graue Jeans, schwarze Turnschuhe und Dreitagebart. Der Priesterkragen schrecke manche ab, meint der Jesuit Pater Lochbrunner – Pater Simon – Herr Lochbrunner? „Mit der Anrede sehe ich es nicht so eng.“ Gemeinsam mit siebzehn anderen Jesuiten, darunter zwölf Novizen, lebt der gebürtige Unterallgäuer im Nürnberger Norden. Am Rande des Stadtparks steht das Rupert-Mayer-Haus, das Ausbildungshaus des Ordens.
Die Welt hat nicht das
letzte Wort. Es gibt einen
Horizont, der größer ist.
Wenn ich in diesen
Horizont hinein spreche,
dann ist das für mich
Gebet."
Im ersten Stock zur Straße hin befindet sich Lochbrunners kleines Zimmer. Rechts neben der Tür steht ein Regal mit Büchern, Ordnern und Flyern, links zwei Lehnstühle und ein niedriger Holztisch. In der Ecke steht das Bett. Vor dem Fenster liegt auf dem Teppichboden eine zusammengefaltete Decke. Auf ihr liegt ein Metallkreuz, daneben ein niedriger Holzhocker. Leben und beten im selben Raum. Und arbeiten. Denn beim Blick auf den Schreibtisch wird klar, dass in diesem Zimmer ein moderner Pater wohnt: Der Computerbildschirm dominiert den Tisch, Tablet und Smartphone liegen bereit. Das hier ist die deutsche Zentrale des Weltweiten Gebetsnetzwerks des Papstes.
Das Gebetsapostolat möchte möglichst alle Menschen bekehren, die noch nicht zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind. Zwar steht der Papst dem Netzwerk vor, „aber er kann ja nicht für alles die Detailregie führen. Deshalb hat er es den Jesuiten anvertraut.“ Das war 1844. Aber: „Ist das eigentlich noch was? 1844, 2010 – kommen wir da überhaupt noch zusammen?“, habe sich der damalige Direktor gefragt und beschlossen: „Entweder wird das Ganze auf neue Füße gestellt oder es wird abgeschafft.“ Zwei große Projekte sind seitdem entstanden: Eines davon ist die monatliche Videobotschaft, mit der sich der Papst seit Januar 2016 an alle Gläubigen richtet. Darin erklärt Franziskus die „Gebetsanliegen des Papstes“. So können Interessierte gemeinsam mit ihm beten.
„Wir versuchen, das Gebetsapostolat auf neue Füße zu stellen und im 21. Jahrhundert ankommen zu lassen“, erklärt Simon Lochbrunner seine Aufgabe als Direktor des Gebetsnetzwerks für den deutschen Sprachraum. „Ein Rosenkranz ist heute nicht mehr so en vogue wie Mindfulness Meditation“, die Lehre von der Achtsamkeit. Deshalb braucht es andere Wege. „Es ist ein Promojob“, erklärt der Priester, der Pastoral Counseling (Psychotherapie mit religiösem Schwerpunkt) in Chicago studiert hat.
Gerade arbeitet er am Computer an einem Bild auf dem eine Frau „Worte statt Waffen“ ruft. Ihr Hinterkopf besteht aus einer Handgranate. „Ich bin in den Neunzigern aufgewachsen mit Grunge, das merkt man dem ganzen Design an”, gibt der Fan der Band Nirvana lachend zu. Das Weltweite Gebetsnetzwerk nimmt Herausforderungen für die Menschheit in den Blick. In diesem Monat steht der Waffenhandel im Fokus: In der päpstlichen Videobotschaft ebenso wie in dem Posterkalender, den Lochbrunner erstellt hat. Inspiration für seine Arbeit holt er sich aus dem Internet. Sein Interesse für Social Media, Fotografie und Bildbearbeitung hat ihm auch zu seiner Aufgabe verholfen: „Ich hab da Spaß dran. Ich denke, dass ich deshalb dem Provinzial in den Sinn kam als jemand, der junge dynamische Ideen in die Welt des Gebets mitbringen könnte.“
Durch einen Klick signalisieren, dass man ihr Gebet teilt
Aber was ist das eigentlich – ein Gebet? „Für mich ist ein Gebet eine Antwort auf die Zusage, dass Gott uns liebt“, sagt Lochbrunner. Denn: „Die Welt hat nicht das letzte Wort, es gibt einen Horizont, der größer ist. Wenn ich in diesen Horizont hinein spreche, dann ist das für mich Gebet.“
Das zweite große Projekt des Gebetsnetzwerkes ist die App „Click To pray“, die im Frühjahr auch auf Deutsch veröffentlicht wurde. Über sie erhält man dreimal täglich kurze Gebetsimpulse auf sein Smartphone. Außerdem kann man seine eigenen Gebete veröffentlichen und anderen durch einen Klick signalisieren, dass man ihr Gebet teilt. „Durch die App wollen wir Menschen mit ähnlichen Interessen in einem weltweiten Netzwerk zusammenbringen“, erklärt Lochbrunner. Außerdem möchte er den Menschen helfen, Gebet und Alltag wieder zusammenzubringen. Mit einem Klick eben.
Ein Rosenkranz ist heute nicht mehr so en vogue wie Mindfulness Meditation."
Motivierend war für den Pater ein Moment im Januar: Beim Angelusgebet wies Papst Franziskus auf die App hin und verwendete auch die Worte „Click To Pray“ – „und das, obwohl der Papst ja nicht so gerne Englisch spricht“, erzählt er lachend. „Das war schon toll, dass der Papst sagt: ‚Leute, das ist eine coole Sache, nutzt das!‘ Das gibt uns enormen Rückenwind“. Ob der Papst die App allerdings selbst nutzt, weiß der App-Direktor nicht.
Der Leiter der Gebetsapp hat selbst eine lange Gebetsgeschichte. Nach Erzählungen seiner Mutter hat er bereits als Vierjähriger gebetet: „Aber nicht nur ‚Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm.‘ Sondern ich habe damals mit Gott schon eine sehr persönliche Beziehung geführt. Das hat mich seitdem durchs Leben getragen.“ Daher sei es auch nicht verwunderlich, dass er jetzt Priester und Ordensmann ist. Schon mit neun Jahren stand sein Berufswunsch fest, 2016 war die Weihe. Neben seiner Arbeit für das Gebetsnetzwerk und in der Novizenausbildung des Ordens, ist Lochbrunner auch in der Nürnberger Pfarrei Sankt Martin als Kaplan und Jugendbetreuer aktiv. Auch dort gibt er seine Leidenschaft für das Gebet einer jüngeren Generation weiter.
App ist gut, Gemeinschaft noch besser
Wie die Gebetsapp, die Simon Lochbrunner betreibt, wohl bei jungen Menschen ankommt, darüber haben wir uns mit Eva Fischer unterhalten. Die 29 jährige Bambergerin ist Diplom-Maschinenbauingenieurin und ehrenamtliche Diözesanvorsitzende beim BDKJ der Erzdiözese Bamberg. „Schön aufgemacht“ sei die App, meint Eva Fischer. „Sehr nützlich für eine technikaffine, kirchennahe Klientel, die wissen möchte: Wie geht denn Beten richtig?“ Die App ermögliche durch ihre vielen Rahmeninformationen, über Gebete zu reflektieren und neue Einflüsse zu bekommen. Die Nähe zum Papst verleihe der modernen Technik zudem eine spirituelle Tiefe.
Dass die Gebets-App Menschen zum Beten bringt, die sonst mit Kirche nichts zu tun haben, glaubt Eva Fischer aber nicht: „Ich weiß nicht, ob Technik reicht, wenn ich frage: Was bedeutet Beten für mich?“ Menschen für den Glauben und das Gebet öffnen könnten am besten andere Menschen in Gemeinschaft. Zum Beispiel bei offenen Angeboten wie Taizé-Gebeten.
Beten ist für mich ein „zur Ruhe kommen“ – was auch ein kleiner Spaziergang sein kann. Wichtig ist für mich weniger die Form des Gebets, sondern viel mehr in mich zu gehen und für einen Moment Bewusst innezuhalten. Sowohl der Wunsch nach einem guten Tag am Morgen als auch ein dankbarer Blick zurück auf den vergangenen Tag vor dem Schlafen gehen, kann genau das sein. Es geht für mich darum, ständig den Kontakt zu Gott zu suchen und nicht darum, eine Wunschliste für sich und die gesamte Welt abzuarbeiten."
-Felix Mossmeier (23)
Potenzial, junge Menschen für Glauben zu öffnen, hätten auch die Nightfever-Abende, die unter anderem im Bamberger Dom stattfinden und jedes Mal von hunderten Jugendlichen besucht werden. Weniger, weil beim Nightfever das Allerheiligste angebetet wird, glaubt Fischer. „Eher weil es jedem – kirchennahen wie fernen Menschen – die Chance gibt, einfach mal dazusitzen, zur Ruhe zu kommen und in Gemeinschaft einen Gegenpol zum hektischen Alltag zu finden.“ Manchmal sehe man Teilnehmer, die in der Kerzenlicht-Atmosphäre so emotionale Momente erlebten, dass ihnen die Tränen kommen. „Wenn dann jemand da ist, der mit den Menschen sprechen kann über die Ängste, Probleme oder auch Freude, die einen beschäftigen, dann ist das Seelsorge – und die verbindet mit Kirche.“
Druck im Job, Druck in der Schule oder der Schaffensdruck im Alltag könnten im Gebet unterbrochen und mit etwas Positivem, dem Gespräch mit Gott, angereichert werden. Das Handy als Quelle des Gebets zu sehen, widerspreche dem Konzept des Zur Ruhe Kommens, weil es selbst ein Instrument der Hektik sei. Nichtsdestotrotz sei die Gebetsapp ein wertvoller Impulsgeber, resümiert Eva Fischer.
Gesang ist meine bevorzugte Form des Gebets. Den ganzen Tag über singe oder summe ich immer mal wieder NGL-Lieder, ganz klassische Gottesloblieder, manchmal auch Psalmen, mal nebenher, mal ganz bewusst. Ansonsten bete ich oft abends vor dem Schlafengehen Gebete, die ich wortwörtlich im Schlaf kann, das Vaterunser oder ein Gebet, das mir meine Oma vor vielen Jahren beigebracht hat: "Bevor ich mich zur Ruh begeb...". Das direkte Gespräch mit Gott suche ich vor allem, wenn ich in der Kirche bin, wenn ich danke sagen möchte oder wenn mir etwas Angst macht."
-Fiona Rupprecht (22)