Beim Volleyball Barrieren überwinden:Eine kleine Revolution
Raees, Hezbullah und Madjied kommen aus dem Umkleidetrakt in die Turnhalle. Sie joggen an ihren männlichen Teamkameraden vorbei und halten lächelnd bei den sechs jungen Frauen, denen sie einzeln die Hand geben. Erst danach begrüßen sie die Jungs per Handschlag. Das verlangt die Höflichkeit. Trainer Ali Farsin pfeift zum Trainingsbeginn. Die Sportlerinnen und Sportler setzen sich zum Warmlaufen in Bewegung.
Die sechs jungen Männer, die mit ihren Teamkameradinnen durch die Dietersheimer Turnhalle laufen, sind „umFs“, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus dem Iran und Afghanistan. Für Raees, der Moslem ist, wäre es vor einem Jahr „nicht möglich“ gewesen, sagt er, mit Frauen in kurzen Hosen und Shirts zu trainieren. 2015 floh er vor den Unruhen in seinem Heimatland Afghanistan und kam nach Deutschland, wo für ihn einiges neu ist.
Respekt ist das oberste Gebot, und Religion ist Privatsache."
In Afghanistan gilt ein konservativer Islam, der weit über kirchliche Belange hinaus in Politik und weltlichem Leben Einfluss nimmt. Auch in Sporthallen. „Aber hier hat das keinen Platz. Respekt ist das oberste Gebot, und Religion ist Privatsache“, sagt Trainer Ali Farsin. Dass junge Moslems und Frauen ein Mixed-Volleyballteam stellen, ist für ihn trotzdem „eine kleine Revolution“. Eine, die funktioniert. Sie spielen sich beim Aufwärmtraining in wechselnden Paarungen die Bälle zu. Und wenn Raees einer Frau gegenüber steht, dann pritscht er locker, statt zu schmettern.
Die jungen Frauen freuen sich über die Neuzugänge. „Für ein reines Damen-Team haben irgendwann die Spielerinnen gefehlt. Nach der Schule verlassen viele den Landkreis“, sagt eine der jungen Frauen. Und Trainer Ali Farsin hat die Verstärkung gut dosiert, erst nach und nach einen Mann mehr zum Training mitgebracht. So haben sich die jungen Frauen an den Zuwachs gewöhnt, der ihnen mittlerweile schon vordere Plätze bei Mixed-Turnieren beschert hat.
Dass er den Neuankömmlingen hilft, wo es geht – ob als Dolmetscher, Begleiter zum Amtstermin oder mit einem offenen Ohr, – ist für Ali Farsin selbstverständlich. Weil er sich an die Zeit erinnert, als er selbst vor 35 Jahren als Flüchtling nach Deutschland kam: Sprachprobleme, Heimweh, Zukunftsangst. Doch Farsin hat seinen Weg gemacht. Der heute 50-Jährige studierte Maschinenbau und arbeitet als Diplomingenieur. „Für mich lief es gut, weil mir Chancen gegeben wurden – und weil ich mich an die Regeln gehalten habe.“ Das erwartet Farsin auch von „seinen“ Jungs. Anfangs, sagt er, seien sie oft zu spät zum Sport gekommen. Nach einigen Standpauken seien sie mittlerweile aber „immer ein bisschen zu früh da“.
Ein fürsorgliches Miteinander unterstützen
Dafür, dass nicht nur Ali Farsins Schützlinge, sondern Flüchtlinge allgemein im Kreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim ihren Weg in die Gesellschaft finden, will das Projekt „Über Zaun und Grenze“ sorgen. Das Netzwerk für Flüchtlings- und Nachbarschaftshilfe hat sich zum Ziel gesetzt, das Engagement von haupt- und ehrenamtlichen Helfern zu unterstützen: zu vernetzen, zu qualifizieren und wo es noch keine entsprechenden Initiativen gibt, diese anzuregen. Projektmanagerin Anja Haverkock möchte erreichen, „dass die Menschen in unserem Landkreis in fürsorglichem Miteinander leben. Egal welchen Alters, welcher Schicht, welcher Herkunft“. Die Internetseite www.ueberzaunundgrenze.de, runde Tische mit Vertretern von bürgerschaftlichen Initiativen, Kommune, Verbänden, Wirtschaft und Politik sowie direkte Begegnungen bei Festen und Informationsveranstaltungen machen es möglich.
„Über Zaun und Grenze“ beruht auf einer Idee des Freiwilligenzentrums des Caritasverbandes Scheinfeld und Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim. Das Netzwerkprojekt entstand 2015 aus einem akuten Bedarf. „Damals haben sich viele Ehrenamtliche im Freiwilligenzentrum gemeldet, weil sie ankommenden Flüchtlingen helfen wollten“, sagt Dorothea Hübner, Leiterin des Freiwilligenzentrums. Gleichzeitig entstanden Nachbarschaftshilfen in verschiedenen Gemeinden des Landkreises. Den vielen Menschen, die bereit waren, sich zu engagieren, half das Freiwilligenzentrum, sinnvolle Strukturen aufzubauen. „Daraus entstand die Idee zu dem Projekt, das sich inzwischen als Netzwerk entwickelt hat, um nachhaltiger und effizienter zu wirken.“ Mitarbeiter der Caritas lenken und unterstützen das Engagement von Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsund Nachbarschaftshilfe professionell, setzen Grenzen zum Wohl der Freiwilligen und zum Schutz der Hilfesuchenden. Nutznießer sind nicht nur Flüchtlinge, sondern auch ältere Bürger, Alleinerziehende und Alleinstehende oder Menschen mit Behinderung. Das Erzbistum Bamberg ist direkter Finanzförderer. „Und es stellt das soziale Engagement auf das Fundament unseres Glaubens und unserer moralisch-ethischen Selbstverpflichtung zur gegenseitigen Hilfe“, sagt Anja Haverkock.