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Die Bahnhofsmission in Nürnberg:Gemeinsam ans Ziel kommen

Christina Setzer arbeitet ehrenamtlich bei der Nürnberger Bahnhofsmission. Die ökumenische Einrichtung hilft Menschen auf Reisen oder in akuten sozialen oder finanziellen Notlagen.
Datum:
Veröffentlicht: 1.12.20
Von:
Maike Wirth
Bahnhofsmission

„ICE 228 nach Frankfurt Hauptbahnhof, über Würzburg und Aschaffenburg, bitte Vorsicht bei der Einfahrt.“ Ein Blick auf die Uhr zeigt: 11.26 – gerade noch geschafft. Erleichtert stehen Christina Setzer und ihre Kollegen Andreas Zettner und Jody Ayimdji mit ihren Umstiegsgästen an Gleis 6 des Nürnberger Hauptbahnhofs und schauen dem ICE aus München bei der Einfahrt zu. In ihren royalblauen Westen mit dem großen Bahnhofsmission-Logo auf dem Rücken – ein rotes Kreuz vor einem goldgelben Strahl – sind sie weithin für jeden erkennbar. Das ältere bayerische Ehepaar in den Rollstühlen haben sie zuvor bereits in einem Spurt quer durch den Bahnhof gefahren und nun fein säuberlich an den Platz am Gleis manövriert, an dem der Waggon mit ihren Sitzplätzen halten soll. Die beiden Senioren aus Frankfurt strahlen, sie sind auf dem Rückweg von einer Kur, und er raunt: „Ohne die Frauen und Männer von der Bahnhofsmission hätten wir nicht fahren können. Schreiben Se das mal mit rein!“

Bahnhofsmission

Etwas versteckt rechts neben den großen Rolltreppen, die in die Mittelhalle des Bahnhofs in Nürnberg hochführen, liegt der Eingang zur Bahnhofsmission – eine Einrichtung der katholischen und evangelischen Kirche und eine von 104 Bahnhofsmissionen in Deutschland. Was mit einem Blick durch die Tür und die Treppe hinunter eher klein und gedrungen wirkt, entpuppt sich als großer Eingangsbereich, der zu ganz unterschiedlichen Räumlichkeiten führt. Auf die Gäste warten eine zum Spieleparadies umgestaltete Familien- und Kinderlounge, ein großer Aufenthaltsraum, Sanitäranlagen sowie eine Teeküche und eine kleine Kleiderkammer. Alles ist penibel aufgeräumt und sauber. Auf den Tischen stehen Blumen. Was aktuell fehlt, sind die Gäste. „Wegen Corona müssen wir leider darauf verzichten, die Menschen hereinzulassen. Nur einzeln oder in Notfällen können wir Menschen hineinbitten. Ansonsten versuchen wir, ihnen an der Tür zu helfen und sie weiterzuvermitteln, so gut es geht“, erzählt Christina Setzer. Im Normalbetrieb gibt es feste Essenszeiten, zu denen die Gäste kommen können. Um zu essen, zu trinken und um sich aufzuwärmen – gerade jetzt im Herbst und Winter.

Bahnhofsmission

Wir fragen niemanden, ob er bedürftig ist, sondern helfen schnell und unkompliziert und vermitteln die Menschen weiter."

-Christina Setzer, Ehrenamtliche

Christina Setzer ist seit Mai ehrenamtlich für die Bahnhofsmission tätig. Derzeit arbeitet sie pro Woche eine Schicht. Immer dienstags von 10.00 bis 14.30 Uhr. „Eigentlich hatte ich mir für den Übergang bis zum neuen Job einen schönen Sommer mit vielen Reisen und Freibadbesuchen vorgestellt“, erzählt die zweifache Mutter, die sich derzeit beruflich neuorientiert. „Aber dann kam Corona, und weil ich die Zeit ja hatte und das Bedürfnis zu helfen, habe ich im April angefangen, für die Corona-Hotline zu arbeiten, und hauptsächlich Einkäufe und Apotheken-Gänge für Risikopatienten erledigt.“ Dann kam ein Aufruf über die Hotline, dass die Bahnhofsmission dringend Leute sucht. „Davon habe ich mich gleich angesprochen gefühlt.“

Die Arbeit sei wahnsinnig vielseitig, „ in manche Bereiche werde ich immer noch eingearbeitet“, lacht die Nürnbergerin. „Das habe ich absolut unterschätzt.“ Neben der kostenlosen Ein-, Um-, oder Ausstiegshilfe für Senioren oder Behinderte bietet die Bahnhofsmission eine Reisebegleitung für allein reisende Kinder an. Familien, die unterwegs sind, können ihre Wartezeit in der Familien- und Kinderlounge überbrücken. Fehlt jemandem das Geld, um eine Fahrkarte zu kaufen – beispielsweise, weil er bestohlen wurde –, ermöglichen die Ehrenamtlichen z. B. ein Telefonat, um Personen oder Einrichtungen zu finden, die die Kosten für eine Fahrkarte übernehmen.

Bahnhofsmission

Darüber hinaus bietet die Bahnhofsmission Menschen in sozialen oder finanziellen Notlagen Hilfe in Form von Verpflegung mit Essen und Trinken zu festen Zeiten sowie ein offenes Ohr, um die Vermittlung an Beratungsstellen, Kleiderkammern oder Schlafplätzen übernehmen zu können. „Wir fragen niemanden, ob er bedürftig ist, sondern helfen schnell und unkompliziert und vermitteln die Menschen weiter“, sagt Christina Setzer. Zwischen 18.000 und 20.000 Gäste beziehungsweise Kontakte verzeichnet die Nürnberger Bahnhofsmission jährlich.

Als es kurz darauf klingelt, führt ihr Weg zunächst zur Telefonanlage. Ihr Blick fällt auf die Tür. Davor steht ein junger Mann: „Herzlich willkommen bei der Bahnhofsmission, was kann ich für Sie tun?“ Kurz darauf nickt sie und fragt: „Ein Käsebrot und Tee?“ In der Küche greift sie in den Kühlschrank nach einem eingepackten Brotpaket und lässt Tee in einen Becher. Neben ihr steht Jody Ayimdji und schmiert neue Käse- und Wurstbrote auf Vorrat. Der junge Mann vor der Tür freut sich über seine Mahlzeit und verschwindet dann schnell wieder in der Menschenmenge. Ob es immer so freundlich zugeht? „Die meisten Menschen, die zu uns kommen, sind dankbar und freundlich, aber es gibt natürlich auch Leute, die aggressiv und unhöflich sind. Da muss ich noch lernen, mich besser abzugrenzen, die Launen nicht persönlich zu nehmen und trotzdem zu helfen“, erklärt die 50-Jährige und erzählt, dass sie sich manchmal schon ärgert, wenn Alkoholiker zu ihnen kommen und um etwas zu essen bitten, damit sie sich das Geld für den nächsten Schnaps sparen. „Da muss ich mich immer wieder daran erinnern, dass sie für sich selbst verantwortlich sind und selbst entscheiden können und sollen.“

Um gute Arbeit leisten zu können, bekommen die in zwei Schichten arbeitenden ca. 40 Ehrenamtlichen Fortbildungen und Seminare, aktuell in Form von Onlinekursen. „Für mich z. B. ist die Arbeit im sozialen Bereich völlig neues Terrain – ich habe vorher Computer verkauft –, deswegen bin ich froh, dass wir Hilfestellungen bekommen“, so Setzer. „Zuletzt waren z. B. psychische Erkrankungen ein Thema. Das fand ich sehr spannend, denn auch damit haben wir hier immer wieder zu tun.“

Mittlerweile ist es 14.15 Uhr und die Schichtablösung ist schon angekommen. Christina Setzer und ihre Kollegen streifen ihre Westen ab und treten ihren Heimweg an. Auf dem Fahrrad.

Die Bahnhofsmission

1894 eröffnete die erste Bahnhofsmission in Berlin, 1897 folgte die erste Bayerische Bahnhofsmission in München. Am Nürnberger Hauptbahnhof wurden erste Bahnsteigdienste 1899 angeboten. Begründerin der Bahnhofsmissionen ist Ellen Ammann. Die 1870 in Schweden geborene Pionierin der katholischen Frauenbewegung kam 1890 nach München und vertrat als eine der ersten weiblichen Landtagsabgeordneten die Bereiche Jugendfürsorge, Gesundheitswesen und öffentliche Fürsorge.

Die Nürnberger Bahnhofsmission wird seit 1911 zusammen von der evangelischen und katholischen Kirche – vertreten durch die Stadtmission Nürnberg e. V. und IN VIA Nürnberg e. V., ein katholischer Verband für Frauen- und Mädchensozialarbeit – betrieben. 86.000 Euro investieren die Kirchen jedes Jahr in diese ökumenische Einrichtung. Darüber hinaus bekommt sie jährlich finanzielle Unterstützung von der Stadt Nürnberg, der Deutschen Bahn sowie über Spenden.

Ehrenamtliche gesucht!

Sie haben Zeit und Interesse, sich ehrenamtlich zu engagieren? Vielleicht ist die Bahnhofmission in Nürnberg die richtige Stelle für Sie. Kontaktieren Sie bei Fragen einfach Anita Dorsch, Leiterin der Nürnberger Bahnhofsmission, oder ihre Stellvertreterin und pädagogische Mitarbeiter- in Andrea Bauer.

Kontakt

Die Bahnhofsmission hat wie folgt geöffnet: Montag bis Sonntag jeweils von 10 bis 19 Uhr

Tel: 0911 22996
bahnhofsmission@stadtmission-nuernberg.de
www.bahnhofsmission.de

Im Gebiet des Erzbistums ist die Bahnhofsmission auch in Erlangen und Hof für Sie da.

Ein Interview mit der Leiterin der Nürnberger Bahnhofsmission, Anita Dorsch, lesen Sie hier