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Gott & Pop:Glauben durch Musik verkörpern

Glaube und Chorgesang gelten für viele Jugendliche als uncool. Entgegen diesem Trend schafft es der Herzogenauracher Chorleiter Toni Rotter, reihenweise junge Menschen für christliche Musik zu begeistern.
Datum:
Veröffentlicht: 1.12.18
Von:
Silvia Franzus

Erst wippt nur ein Fuß im Takt mit, schnell werden es mehr. Köpfe nicken zum Rhythmus des Klaviers. Die Jugendlichen lächeln einander an, während das Pianovorspiel endet. Dann setzen sie gemeinsam ein: „I’ve never had a better friend than Jesus“, singen sie. Freundschaft und Glaube, zwei wichtige Themen in diesem Raum.

„Fühlt euch wohl“, ruft Toni Rotter den 20 Sängerinnen und elf Sängern von der Mitte des Raums aus zu. Er sitzt dort am Klavier; schlank mit grauen Haaren, trägt Jeans, ein helles Hemd und Brille. Begeisterte Gesichter schauen dem Chorleiter entgegen. Die Jugendkantorei aus St. Magdalena in Herzogenaurach hat sich zu ihrer wöchentlichen Probe im Pfarrzentrum versammelt. Im hellen großen Saal sitzen die Jugendlichen in zwei Reihen um das Klavier. Aufrecht, in Sängerhaltung, so wie es Toni Rotter ihnen vormacht.

1982 kam Rotter nach dem Kirchenmusikstudium nach Herzogenaurach. Damals gab es nur einen Kinderchor mit zehn Mädchen. „Das wurden dann mehr und mehr“, erinnert er sich. Seit etwa 20 Jahren hat die Kantorei von St. Magdalena eine feste Größe: In den sechs Kinder- und Jugendgruppen und dem Erwachsenenchor sind fast 200 Sängerinnen und Sänger aktiv.

Toni Rotter

Der Glaube ist für uns das Verbindende, unsere Basis."

-Toni Rotter, Chorleiter

Die Pfarrgemeinde zählt überschaubare 6000 Katholiken. „In der Großstadt tun sich die Kollegen viel schwerer“, erklärt Rotter, da es mehr Konkurrenzangebote gebe. Hier sei der Zusammenhalt eng und der Umgang persönlich. An einer Tafel an der Wand des Saales hängt für jedes Kantoreimitglied ein buntes Kärtchen, die Farben nach der Altersgruppe gewählt. Die Gemeinschaft ist im Raum spürbar.

An der Wand gegenüber hängt ein Kreuz – ein Symbol für das zweite Standbein der Kantorei. „Der Glaube ist für uns das Verbindende, unsere Basis. Wir sind ein Kirchenchor und singen Gottesdienste“, sagt Rotter. Obwohl das Mitwirken an Gottesdiensten für viele der Jugendlichen nicht das Wichtigste sei, wolle er sie immer wieder mit Kirche in Kontakt bringen. „Und wenn wir eine Kirche betreten, dann singen wir sowieso. Nicht immer erwünscht, aber wir tun es trotzdem“, erzählt der Chorleiter schmunzelnd. Das begeistert auch die 16-jährige Lucia: „Ich finde es immer toll, wenn wir bei uns in der Kirche singen. Einfach, weil der Klang dort so schön ist. Aber auch den Glauben durch Musik zu verkörpern, ist eine schöne Vorstellung.“

Die religiöse Vorprägung der Jugendlichen ist vielfältig. Einige sind als Ministranten aktiv. Viele haben aber eigentlich nichts mit der Kirche zu tun und kommen erst über die Musik mit ihr in Kontakt. Toni Rotter will ihnen ein positives Bild vermitteln: „Sie sollen sehen: Kirche ist nichts Altes, Verstaubtes. Sondern: da ist was los, da ist Jugend, da kann man gemeinsam was auf die Beine stellen. Ich glaub‘, das strahlt aus.“

Auch Kilians Einstellung zum Glauben wurde durch die Musik geprägt. Der 18-Jährige ist seit seinem fünften Lebensjahr in der Kantorei – „schon immer“ aus seiner Sicht. „Der Chor ist die Gemeinschaft, die ich mit der Kirche verbinde“, erzählt er. Durch diesen werde Glaube zu etwas Alltäglichem. „Wenn wir irgendwo singen, dann ist es für uns normal, dass wir geistliche Lieder dabeihaben. Glaube ist für uns Normalität, er gehört zum Chor dazu.“ 

Im Saal herrscht durch die vielen Fenster eine helle, freundliche Probenatmosphäre. Dieser Gebäudeteil wurde an ein Fachwerkhaus angebaut. Altes trifft hier auf Moderne, genauso wie beim Repertoire des Chores. Neben klassisch-geistlichen Werken gehören Gospel- und Popsongs dazu. „Denn wenn die Jugendlichen mit Spaß dabei sind, lassen sie sich auch auf traditionelle Werke ein wie Stücke von Mozart oder das Weihnachtsoratorium“, erklärt Rotter.

Kilian

Glaube ist für uns Normalität, er gehört zum Chor dazu.“

-Kilian (18)

Die 14-jährige Anabel ist vor allem vom spontanen Musizieren auf der Straße begeistert, einem besonderen  Schwerpunkt der Kantorei: „Wenn wir Straßenmusik machen und eine riesige Menschentraube stehenbleibt, nur um uns zu hören, dann ist das immer wieder ein tolles Gefühl.“ Toni Rotter fördert die Straßenmusik auch aus einem pädagogischen Grund: „Mein Ziel ist, dass die Kinder und Jugendlichen jederzeit singen können. Dass wir uns ohne Noten und Klavier hinstellen und einfach loslegen.“ Ohne Notenblätter dazwischen übertrage sich die Freude der Sänger direkter auf das Publikum. Auch die Kommunikation zwischen Dirigent und Musikern sei dann enger.

Toni Rotters Freude an der Arbeit mit den jungen Menschen ist sichtbar, wenn er sie mit strahlenden Augen dirigiert. Er trifft den richtigen Ton bei ihnen. „Toni heißt einfach alle willkommen“, erzählt Lucia über ihren Chorleiter, bei dem sie seit zehn Jahren singt. „Er steht an der Spitze dieser Gemeinschaft, ist immer gut drauf und macht das Ganze mit Herzblut.“ 2006 wurde Rotter mit dem Kulturpreis der Stadt Herzogenaurach ausgezeichnet. Er fördert nicht nur das musikalische Können seiner Sänger, sondern auch das Soziale: „Die Kinder und Jugendlichen erleben hier Teamwork. Man bringt sich ein mit seiner Stimme, ist Teil von einem großen Chor. Man muss nicht die größte Stimme haben, kann aber trotzdem etwas Großes leisten.“ Das mache sie stolz und tue ihnen gut.

Anabel

Wenn wir Straßenmusik machen und eine riesige Menschentraube stehenbleibt, nur um uns zu hören, dann ist das immer wieder ein tolles Gefühl.“

-Anabel (16)

Zwölf Stunden Proben leitet Rotter pro Woche, dazu kommen die Vor- und Nachbereitung und vor den Konzerten auch noch viele Extra-Proben. Einen Tag ohne Musik gibt es bei ihm nicht. Unterstützt wird er durch Stimmbildner, die sich darum kümmern, dass die Sängerinnen und Sänger auch die richtige Gesangstechnik anwenden. Mit Erfolg: Die Sopranistinnen, oftmals Wackelkandidatinnen in Chören, haben eine Sicherheit in der Höhe entwickelt. Die wenigen Basssänger halten in der Tiefe mit kräftigem Stimmvolumen dagegen. Die jahrelange Übung zahlt sich aus. Die ältesten Sänger sind 20, die jüngsten zwölf. Trotz des Altersunterschiedes kommen sie gut miteinander aus, auch die Neuen.

Anabel kam erst vor zwei Jahren durch Freunde zur Kantorei. Und kann sich noch gut an ihre erste Probe erinnern: „Ich war erstaunt, wie herzlich man aufgenommen wird. Alle waren hilfsbereit.“ Diese Gemeinschaft motiviert sie, dabei zu bleiben. Kilian wurde schon im Kindergartenalter von seinen Eltern zum Chor gebracht.
Ob es ihm damals Spaß gemacht hat oder eher Pflicht war, weiß der 18-Jährige heute nicht mehr so genau. „Aber irgendwann hab‘ ich gemerkt, wie sehr ich den Chor brauche“. Mittlerweile sei die Chorgemeinschaft ein Großteil seines Freundeskreises. Die gemeinsamen Erlebnisse schweißen zusammen: Die Proben, die Gespräche danach und die Ausflüge, Probenwochenenden, Konzertreisen und Teilnahmen an Chorfestivals. „Solche Erlebnisse sind für den Chor prägend“, sagt Kilian. „Das ist die Gemeinschaft, die uns zusammenhält und jede Woche herbringt.“

Mehr Infos zur Kantorei hier auf deren Website