Jung, Norbert: Über die märchenhafte Odyssee von Schneewittchens Grabstein
Glauben Sie als Theologe und Historiker an Märchen?
Märchen sind überlieferte Geschichten und offensichtlich keine historischen Berichte. Ob sie einen Kern Wahrheit enthalten oder auf historische Ereignisse oder Personen zurückzuführen sind, wissen wir nicht. Auch Heiligengeschichten und -legenden haben durchaus etwas Märchenhaftes und dürfen nicht ausschließlich aus historischer Sicht betrachtet werden, wenn man etwa an Georg den Drachentöter denkt oder an den heiligen Nikolaus, dessen Legende sich aus den Geschichten mehrerer historischer Personen zusammensetzt.
Haben Sie keine Sorge, dass der Grabstein einer Märchenfigur nun im Museum neben kostbaren Reliquien von Päpsten und Heiligen steht?
Es gibt bei uns weitere Ausstellungsstücke, deren Bedeutung auf nicht bewiesene Überlieferungen oder Legenden zurückgeht, etwa das Haupt des Evangelisten Lukas, Ketten des Heiligen Petrus oder ein Tuch, das Jesus getragen haben soll. Auch wenn die Echtheit höchst unwahrscheinlich ist, so haben diese Gegenstände doch eine besondere Bedeutung, weil sie über Jahrhunderte von den Menschen verehrt wurden. Kein Zweifel besteht aber an der Echtheit unserer Prunkstücke: Die tausend Jahre alten Kaisermäntel von Heinrich und Kunigunde oder das Papstornat von Clemens II., der im einzigen Papst- grab nördlich der Alpen im Bamberger Dom begraben ist.
Was ist für Sie das Märchenhafte an „Schneewittchens“ Grabstein?
Der Grabstein hat eine wirklich märchenhafte Odyssee hinter sich. Dass er jetzt wiederaufgetaucht ist, ist schon bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die Grabsteine der Weihbischöfe, die auch in Alt St. Martin begraben wurden, alle verschwunden sind. Wir müssen eins festhalten: Wenn Fräulein von Erthal wirklich „Schneewittchen“ gewesen ist, dann haben wir ihren Grabstein. Aber es wäre ein Trugschluss zu sagen: Es gab „Schneewittchen“ wirklich, weil wir diesen Grabstein haben.
Wie das Diözesanmuseum zu Schneewittchens Grabstein kam, lesen Sie hier.