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Doppelinterview:Kirche und Politik müssen gemeinschaftlich für unsere Werte kämpfen

Erzbischof Herwig Gössl und der Nürnberger Oberbürgermeister Marcus König im Gespräch
Der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl und der Nürnberger Oberbürgermeister Marcus König sind beide in Nürnberg auf gewachsen als überzeugte Katholiken in einer evangelisch geprägten Stadt. Im Doppel interview sprechen sie über ihr Verhältnis zur Ökumene, über die gemeinsamen Probleme und Herausforderungen von Kirche und Politik und die Frage: Wie politisch soll die Kirche sein?
Datum:
Veröffentlicht: 16.1.25
Von:
Harry Luck

Herr Erzbischof, Herr Oberbürgermeister, Eingangsfrage an Sie beide: Was finden Sie am Job Ihres Gegenübers beneidenswert?

König: Der Bischof muss sich keiner Wiederwahl stellen. Ich muss alle sechs Jahre mit meinen Ideen und Vorstellungen neu überzeugen. Der Bischof ist einmal ernannt vom Papst und bleibt auf Lebenszeit.

Gössl: Das gibt eine gewisse Entlastung und Gelassenheit, ja. Für mich ist das eine schwere Frage. Ich bin gerne in Bamberg, aber zum Leben gehört auch die Heimat. Und deshalb finde ich es sehr schön, wie Sie mitten in meiner Heimatstadt präsent sind. Aber deshalb möchte ich nicht Oberbürgermeister in Nürnberg werden.

Und aus welchem Grund sind Sie froh, dass Sie Ihre Aufgaben nicht tauschen müssen?

König: Ich liebe Gott und meine Frau. Beides würde als Bischof nicht funktionieren, weil der Zölibat das nicht zulässt. Ich bin sehr katholisch geprägt und liebe die katholische Kirche. Ich habe in meiner Jugendzeit eine unfassbare Nähe zu Gott aufgebaut. Ich denke, die Menschen brauchen beides: einen guten Oberbürgermeister und einen guten Erzbischof.

Gössl: Ich denke, es ist gut, bei den eigenen Leisten zu bleiben. Ich könnte mir nicht vorstellen, in die Politik zu gehen. Dem ständigen Kampf um Wählerstimmen möchte ich mich nicht aussetzen müssen. Ich konnte die Berufung, die ich schon als Kind gespürt habe, zum Beruf machen. Darüber bin ich sehr froh und das will ich nicht aufgeben.

Herr Erzbischof, Sie sind in Nürnberg aufgewachsen und kennen die Stadt sehr gut. Sie ist viel größer als die Bischofsstadt Bamberg. Welche Rolle spielt Nürnberg für das Erzbistum Bamberg?

Gössl: Nürnberg ist die Metropole in unserem Bistum. Sie zeigt, wie Kirche auch leben kann. Wir haben ländlich geprägte, katholische und evangelische Gebiete und auch die Großstadt, wo Religion ganz anders vorkommt, nicht in so prägender Form. Es ist faszinierend, wie Religion in der Großstadt gelebt wird. Das wahrzunehmen, gibt viele Hoffnungsimpulse. Die Offene Kirche St. Klara, das Caritas-Pirckheimer-Haus (CPH), die Ideen in den Pfarreien, da gibt es viel Innovatives, das Hoffnung macht.

Umgekehrt gefragt: Welche Rolle spielt die Kirche in Nürnberg?

König: Nürnberg ist anders als die Oberpfalz oder Oberfranken. Diese Vielfalt muss Kirche abbilden. Wenn man sich die Silhouette von Nürnberg anschaut: Man nimmt die Kirchen als sehr prägend wahr, ob St. Sebald, St. Lorenz oder die Frauenkirche, das ist ein Markenzeichen. Damit verbindet man auch Kirche. Kirche ist aber nicht nur das Gebäude: Nürnberg ist eine sehr christlich geprägte Stadt, das spüre ich auch. Das christliche soziale Netz von Caritas, Sozialeinrichtungen und auch dem CPH ist ein wichtiger Bestandteil in der Stadt.

Kirche und Parteien kämpfen mit ähnlichen Problemen: Mitgliederschwund, Vertrauensverlust. Muss man mit dieser gesellschaftlichen Entwicklung leben oder kann man etwas dagegen tun?

König: Wir müssen etwas tun. Gesellschaft verändert sich, es gibt Trends. Aber man kann Trends auch mitgestalten, das ist der Auftrag der Politik. Kirche und Politik haben eine Vorbildfunktion, mit der sie die Gesellschaft prägen. Wir haben Mitgliederschwund, aber ich stimme dem Erzbischof zu, wenn er sagt: Es geht nicht um die Masse, sondern um die Klasse, die Qualität. Ich werbe für eine starke  Demokratie, die alle Menschen im Blick hat. Das leben wir vor, da haben wir einen gemeinsamen Auftrag. Vielleicht müssen wir da auch wieder lauter werden. Kirche und Politik müssen gemeinschaftlich für unsere Werte kämpfen. Der Glaube muss wieder Freude machen.

Gössl: Das ist ein wichtiges Stichwort. Ich glaube auch nicht, dass wir Megatrends umkehren können. Aber was wir unbedingt im Blick haben müssen, ist die Freude am Glauben. Ich habe manchmal den Eindruck, dass Glaube keinen Spaß machen darf und immer beschwerlich sein soll. Nein, das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen Glaubensfreude feiern. Dafür brauchen wir keine riesigen Massen. Natürlich freuen wir uns, wenn viele Leute kommen, aber man kann auch in einer kleinen Gruppe feiern. Das strahlt dann auch aus und fördert Gemeinschaft.

Kirche und Politik

Die Kirchen sind verpflichtet, in den Nachwuchs zu investieren.“

Markus König (44)

wurde in Nürnberg geboren und machte eine  Ausbildung zum Bankkaufmann. Er war Finanzberater und Abteilungsdirektor bei einer Bank. Der CSU-Politiker wurde 2008 Stadtrat in Nürnberg und 2017 Fraktionsvorsitzender. Seit 2020 ist er Oberbürgermeister. Er ist verheiratet und hat einen Sohn.

 

Herr König, manche werfen der Kirche vor, dass sie sich zu sehr in die Tagespolitik einmischt, andere rufen sie auf, noch mehr politisch zu sein. Was ist Ihre Meinung?

König: Die Kirche kann durchaus ihre Stimme mehr erheben. Ich wünsche mir zum Beispiel zur Frage, in welcher Demokratie wir leben wollen, dass die Kirche da lauter ist. Es gab Zeiten, in denen die Kirche in dieser Frage zu oft geschwiegen hat. Das darf sich nicht wiederholen. Man muss sich in die Politik einmischen. Und das darf und muss auch die Kirche tun. Die Schwächeren müssen gehört und gesehen werden. Dafür zu sorgen, ist auch Aufgabe der Kirchen.

Gössl: Es geht gar nicht anders, als dass Kirche auch politisch ist. Wir sollten uns als Kirche nicht parteipolitisch äußern. Aber die Anliegen der Menschen aufgreifen, sich für die Schwachen einsetzen, das ist auch politisch. Das muss Kirche in den politischen Diskurs einbringen.

Welche Rolle spielt Ihr Glaube für die Politik?

König: Das C ist für mich sehr sozial. Da geht es um Nächstenliebe. Mein Glaube gibt mir Kraft, Halt und Orientierung. Das ist ein Kompass. Ich bin der katholischen Kirche sehr dankbar, dass sie mich in meiner Anfangsphase so geprägt hat. Ich glaube, wenn ich als Kind nicht das katholische Knabenseminar St. Paul besucht hätte, wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Egal, was ich entscheide: Es gibt noch eine höhere Instanz. Und das Gefühl „Du wirst getragen“ ist für meine Arbeit ein wichtiger Aspekt. Die Kombination von Glauben und Politik tut mir gut. Und darum stehe ich auch öffentlich zu meinem Glauben.

Die Geschichte Nürnbergs ist auch eng mit der NS-Zeit verknüpft. Wie können Politik und Kirche sich heute gemeinsam der Herausforderung des wachsenden Rechtsextremismus und Populismus stellen?

König: Das ist ein Bildungsauftrag. Ich bin dem Erzbistum Bamberg sehr dankbar für das CPH, das eine Perle in der Stadt ist. Wer Christ ist, muss sich gegen Extremismus stellen.

Gössl: Die Herzensbildung ist entscheidend. Das ist ein großer Auftrag der Kirche, dazu beizutragen, dass so etwas wie Nationalsozialismus in Zukunft keine Chance mehr hat.

Herr König, Sie haben als Schüler das katholische Knabenseminar St. Paul in Nürnberg besucht. Auch heute gibt es mit den Maria-Ward-Schulen große katholische Schulen in Nürnberg. Halten Sie es für sinnvoll, dass die katholische Kirche heute Schulen betreibt?

König: Absolut! Wenn wir Nachwuchs wollen, müssen wir früh anfangen. Die Kirchen sind verpflichtet, in den Nachwuchs zu investieren. Die Maria Ward ist eine Vorzeigeschule, vom Feinsten ausgestattet, da kann man sich nur wohlfühlen. Man kann hier jungen Menschen Impulse mitgeben. Das ist nicht verkehrt. Man sieht an mir: Es bleibt etwas hängen, es ist nicht umsonst.

Herr Erzbischof, in der Zeit, in der das Geld bei der Kirche weniger wird, ist es da noch sinnvoll, Schulen zu unterhalten?

Gössl: Ja. Wir haben die Schulen. Sie sind ein wertvoller Teil der Jugendarbeit. Aber es ist auch klar, dass derartige Baumaßnahmen künftig nicht mehr möglich sein werden. Mit den künftig zur Verfügung stehenden Mitteln ist das nicht mehr machbar. Die Gebäude sind das eine, aber man braucht auch die Menschen, die in den Schulen und Einrichtungen den christlichen Geist vorleben und bei- spielhaft wirken.

Kirche und Politik Kirche und Politik

Ich konnte die Berufung, die ich schon als Kind gespürt habe, zum Beruf machen.“

Herwig Gössl (57)

wurde in München geboren und ist in Nürnberg aufgewachsen. 1993 wurde er zum Priester geweiht. Als Kaplan und Pfarrer war er in Bayreuth, Hannberg und Weisendorf tätig. 2007 wurde er Subregens am Priesterseminar, 2014 Weihbischof. Seit März 2024 ist er der 76. Erzbischof von Bamberg.

Herr König, Sie haben mal gesagt, dass Sie gerne Kirchensteuer zahlen. Warum?

König: Das soziale Netz könnte auch in Nürnberg nicht so eng geknüpft werden. Das wäre sehr schade. Die Kirchensteuer ist notwendig, um der Kirche die Möglichkeit zu geben, dieses soziale Netz so eng zu knüpfen, dass möglichst viele davon profitieren. Dafür zahle ich gerne Kirchensteuer. Wenn ich mir die Einrichtungen anschaue, sehe ich: Das ist gut investiertes Geld. Soziale Aufgaben kann man nur wahrnehmen, wenn man Einnahmen hat. Deshalb kann ich das Bestreben mancher Politiker nicht ganz nachvollziehen, der Kirche ihre Mittel zu entziehen.

Sie sind beide als Katholiken in einer protestantisch geprägten Stadt aufgewachsen. Hat das Ihre Ansichten über die Ökumene geprägt?

Gössl: Ich hatte immer schon eine gute, wohlwollende und entspannte Beziehung wahrgenommen zwischen den großen Konfessionen. Das ist eine gute Basis. Ich habe keine schlechten Erfahrungen mit der Ökumene gemacht.

König: Ich bin ein Fan der Ökumene. Ich gehe auch in evangelische Kirchen und bete. Wir sind in Nürnberg 18 Prozent Katholiken, 21 Prozent Protestanten. Zusammen kommen wir nicht mehr auf die Hälfte. Da müssen wir mehr auf Gemeinsamkeit achten und die Ökumene stärken. Ich halte auch einen gemeinsamen christlichen Religionsunterricht für sinnvoll. Der Evangelische Kirchentag in Nürnberg war ein Sommermärchen des Glaubens. Es war beeindruckend, welche Kraft der Glaube entfalten kann. Nürnberg wäre offen, auch den Katholikentag auszutragen.

Gössl: Ich kann mir auch vorstellen, dass es nicht mehr jedes Jahr einen Katholikentag und einen Evangelischen Kirchentag gibt, sondern dass wir alle zwei Jahre einen ökumenischen Kirchentag machen. Religionsunterricht in ökumenischer Sensibilität ist schon Realität, sicher zunächst aus der Not geboren. In den ersten und zweiten Klassen ist die Möglichkeit schon sehr weit fortgeschritten, einen gemeinsamen Religionsunterricht in der Verantwortung einer Konfession zu gestalten.

Herr König, Sie haben beim Evangelischen Kirchentag gesagt: Ich wünsche, dass alle Gottesdienste so gut besucht sind wie beim Kirchentag. Wie kann man diesen frommen Wunsch verwirklichen?

König: Wir könnten Gottesdienste wieder anders gestalten, moderner aufgebaut. Es gibt ja eine Jugend, die daran Interesse zeigt. Da könnte wieder mehr Leben in die Bude kommen.

Gössl: Ob mit einer Band oder mit traditioneller Musik: Wenn Begeisterung bei den Menschen ist, dann springt das über. Beim Eröffnungsgottesdienst des Evangelischen Kirchentages konnten alle „Lobet den Herrn“ mitsingen. Was wir tun, muss von Herzen kommen. Dann spürt man die Freude, dann springt etwas über.