Im Gefängnis und Krankenhaus:Weihnachten an besonderen Orten
Wie empfinden Sie die Stimmung an Weihnachten in der JVA Ebrach? Ist die Stimmung besonders?
Es ist wie draußen, wie in der Gesellschaft, nur anders. Dort gibt es natürlich keine Girlanden oder Lichterketten. Es gibt nicht diese Aufgeregtheit von draußen – was muss ich noch alles organisieren und kaufen. Es gibt keine Glühweinstände und Weihnachtsmärkte. Aber im Gefängnis gibt es doch, wie draußen auch, eine gewisse Erwartungshaltung. Weihnachten spricht die Menschen immer auch dahingehend an: Wie war das in meiner Kindheit? Auch hinter den Mauern sind die Freude auf dieses Fest und die Bedeutung zu sehen. Der Besuch des Gottesdienstes ist ähnlich wie draußen in der Gesellschaft – es kommen nur ein paar mehr.
Kommt besonders an Weihnachten die Sehnsucht oder vielleicht im Gegenteil der Zweifel an Gott auf bei den Menschen in der JVA Ebrach?
Die Frage nach Gott wird an Weihnachten auf eine sehr verdeckte Weise gestellt. Wichtig ist den Insassen, nicht alleine zu sein. Weihnachten und Einsamkeit, das ist ein ganz schwieriges Kapitel. Viele fühlen sich an diesen Tagen von ihren Familienangehörigen oder von der Freundin entfernt. Diese Distanz an Weihnachten auszuhalten, das ist nicht ganz einfach. Da ist es auch die Aufgabe von uns Seelsorgern hier, mit den jugendlichen Strafgefangenen einen eigenen Weg zu suchen. Dazu gehört es, einen Brief zu schreiben, z. B. an die Familie oder an die Freundin. Vielleicht sogar ein Telefonat oder einen Besuch an Weihnachten zu erhalten. Das ist ganz wichtig.
Was war das denkwürdigste Ereignis an Weihnachten, das Ihnen in der JVA Ebrach widerfahren ist?
Eine Episode, die zu meinem Weihnachtsschatz gehört, fand während eines Weihnachtsgottesdienstes vor ein paar Jahren statt. Dort war eine Krippe aufgestellt. Die circa 30 Zentimeter großen, gebrannten Tonfiguren haben inhaftierte Jugendliche vor ein paar Jahren gestaltet. In der Predigt habe ich auf das weihnachtliche Bild Bezug genommen. Während ich redete, stellte ich fest, dass unter den Zuhörern ein Grinsen zu bemerken war. Einige lachten. Ich dachte erst: „Was ist da los? Stimmt etwas an meiner Kleidung nicht oder bin ich schlecht rasiert?“ Nichts dergleichen. Da drehte ich mich um und sah, dass die Jungs einem der Hirten eine selbstgedrehte Zigarette in den Mund gesteckt und angezündet hatten. Der Rauch stieg langsam auf. Ich habe in meiner Ansprache dann noch die Kurve bekommen. Verknüpft mit der Frage: „Was meint ihr denn, wer diese Hirten sind? Ihr habt nicht der Maria eine Zigarette gegeben, nicht dem Josef, nicht dem Jesuskind. Einem Hirten.“ Und dann war klar: „Das sind Typen, wie ihr. Von den Rändern.“ Randexistenzen wie man heute sagt, die Loser der Gesellschaft. Die Kaputten, die Drogenabhängigen, die Gescheiterten, die es zu keiner Karriere geschafft haben. Gerade bei denen ereignet sich Weihnachten. Und genau die sind die Ersten, die anbeten, die hingehen zur Krippe.
Was ist das schönste Geschenk, das man den Menschen bei Ihnen machen kann?
Viele inhaftierte Jugendliche fühlen sich abgeschrieben. Bei vielen ist die Familie in der Krise zusammengebrochen, die Eltern haben sich getrennt, sich scheiden lassen, haben neue Partner. Die Beziehungen von den Jugendlichen zu ihren Familien und Mitmenschen sind nicht immer nur während des Gefängnisaufenthalts kaputtgegangen, sondern natürlich auch vorher schon. Und genau darum geht es an Weihnachten: Gott geht eine Beziehung, eine Partnerschaft mit uns ein, indem er Mensch wird. Damit ist auch immer die Frage verbunden: „Wie lebe ich das und wie erlebe ich das? Beziehung, Partnerschaft – dass jemand zu mir sagt: Du bist ein Mensch. Dass jemand zu mir sagt: Du. Und nicht auf Distanz geht im Sie.“ Du Schwester, Du Bruder – das ist Weihnachten.
Wie empfinden Sie die Stimmung an Weihnachten im Universitätsklinikum Erlangen?
Weihnachten (in Nicht-Pandemie-Zeiten) im Uniklinikum Erlangen ist schlicht und einfach. Die Stimmung ist aber eine ganz besondere. Kurz vor den Festtagen verändert sie sich. Die vorweihnachtlichen Klänge der Posaunenchöre und Musikgruppen sind verklungen. Auch die „Weihnachtsfeiern“, die auf manchen Stationen stattfinden, sind vorbei. Plötzlich sind die Gänge und Wartebereiche wie leergefegt. Nur noch wenige Menschen sind da zu finden – eine unheimliche Stille breitet sich aus. Viele Stationen werden dann geschlossen. Alle Patientinnen und Patienten, die halbwegs genesen sind, dürfen nach Hause. Zurück bleiben Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen dableiben müssen. Oft sind es Schwerkranke, die vom hochengagierten Personal versorgt und begleitet werden. Zurück bleiben an vielen Orten auch die beleuchteten Christbäume, die Weihnachtsgrüße der Klinikseelsorge an Informationswänden und die fast hundert Jahre alte Krippe in der Frauenklinik.
Was war das denkwürdigste Ereignis an Weihnachten, das Ihnen als Seelsorgerin im Krankenhaus widerfahren ist?
In den Weihnachtstagen ist keiner gerne im Krankenhaus. Ich erlebe immer wieder, dass die Patientinnen und Patienten in der Weihnachtszeit viel mehr und offener erzählen. Die Gespräche sind intensiver und existentieller. Für manche allerdings ist Weihnachten gar nicht so wichtig. Nie werde ich die Patientin vergessen, die kurz vor den Festtagen zu mir sagte: „Für mich fällt Weihnachten heuer aus!“ Als sie das ausgesprochen hatte, erklangen plötzlich durch die halbgeöffnete Tür Weihnachtslieder von einem Chor, der singend durch die Klinik zog. Die junge Frau begann zu weinen. Einige Stunden zuvor hatte sie ihr Kind verloren. Sie bat mich, die Tür zu schließen und bei ihr zu bleiben. Auch das ist Weihnachten. Mir wurde schlagartig bewusst, wie nah Weihnachten und Karfreitag beieinanderliegen und was eine leere Krippe bedeuten kann.
Was ist Ihrer Meinung nach das schönste Geschenk, das man den Menschen im Universitätsklinikum Erlangen machen kann?
Gerne erinnere ich mich an ganz besondere Weihnachtstage vor einigen Jahren. In der Augenklinik waren nur noch etwa 20 Patientinnen und Patienten auf einer Station. Fast alle von ihnen bekamen in der Weihnachtszeit eine neue Hornhaut. Damit wurde ihnen das Augenlicht gerettet. Die meisten konnten wieder besser oder sogar gut sehen. Die Ärzte und das diensthabende Personal konnten den Patientinnen und Patienten kein größeres Weihnachtsgeschenk machen. Da durfte ich in viele glückliche Gesichter blicken.
Worin sehen Sie Ihre Aufgabe an Weihnachten?
Zuhören, Dasein, Zeit-Haben, Reden, Schweigen, Beten - alles, was ich sonst auch tue. Freude und Leid, Höhen und Tiefen, Licht und Dunkel gehören zu unserem Leben. Der Glaube und die Hoffnung, dass Gott in all den Situationen mit uns geht, trägt viele Menschen, und das nicht nur an Weihnachten. Wenn wir an Weihnachten feiern, dass Gott Mensch geworden ist, und es auch darum geht, dass wir immer mehr Mensch werden, dann müsste in der Klinik jeden Tag Weihnachten spürbar sein.