Zwischen Himmel und Erde:Zeugen für die Ewigkeit
Sebastian Dornheim und Thomas Werb, Mesner am Hohen Dom zu Bamberg, betrachten Glocken gewiss nicht als Störenfriede. Ganz im Gegenteil. Dornheim stammt aus einer Gemeinde, in der die Kirche keine Glocken hatte und das Geläut vom Tonband kam. „Da fehlte was“, erinnert er sich. Und Werb liebt Glocken bereits von Kindesbeinen an. Seit er vom Großvater ein Kinderbuch vorgelesen bekam: „Die wandelnde Glocke“ – auch wenn er als kleiner Bub vor dieser speziellen Glocke im Buch noch Angst hatte. Seine Leidenschaft für Glocken ist auf jeden Fall sowohl spür – als auch sichtbar. Sogar an seiner Lambretta, Baujahr 78, hat er eine kleine befestigt. Als Erinnerung an die Tour auf den Großglockner.
Wie die beiden Kaiserglocken Kunigunde und Heinrich. Sie wirken kaiserlich, ja majestätisch, aber in ihrer Art doch berührend. Kaiserglocke Kunigunde, die alte Dame, die Grande Dame, thront seit etwa 800 Jahren erhaben über den Dächern der Stadt und trotzt. Trotzt Kriegen, Naturkatastrophen, Hungersnöten und Pandemien. Was sie alles gesehen hat in ihrem Glockenleben. Seit jeher repräsentieren Glocken das Fließen der Zeit, das Vergehen alles Weltlichen. Das Memento mori (denke daran, dass du sterben musst) ruft zur Besinnung und bekräftigt das Bekenntnis zu Christus, dem Herrn über Leben und Tod und darum auch über die Zeit. So überrascht es nicht, dass Kunigunde bereits auf der Baustelle stand – in einem freistehenden Glockenstuhl –, als nach dem Großfeuer, das 1185 den Heinrichsdom zerstörte, der neue und jetzige Dom für mehrere Jahrzehnte im Bau begriffen war. Kunigunde ist somit älter als ihr Zuhause: Obere Glockenstube, Nordost-Turm, Hoher Dom zu Bamberg. Die größte noch existierende mittelalterliche Bienenkorbglocke gehört zu den wertvollsten Glocken weltweit. Ebenso wertvoll wie die Heinrichsglocke, ebenfalls im Nordost-Turm (in der unteren Glockenstube) beheimatet, die um etwa 120 Jahre jünger ist. Aber nicht weniger majestätisch.
Der Sage nach sollen die Bistumsgründer, Kaiser Heinrich und Kaiserin Kunigunde, einmal in Streit geraten sein, welche Glocke schöner klinge: die Heinrichs- oder die Kunigundenglocke. Kunigunde soll ihren Ring aus mehreren Kilometern Entfernung in Richtung der Glocke geschleudert haben mit dem Ausruf: „Wenn dieser Ring meine Glocke trifft, so ist bewiesen, dass sie die wohler klingende ist.“ Der Ring schlug tatsächlich in die Glocke ein und hatte von da ab ein Loch, das so groß wie der Ring war. Der Klang der Glocke aber blieb unverändert schön. Soweit die Sage. Das Loch existiert tatsächlich.
Bei den wichtigsten Ereignissen im Leben eines jeden Menschen sind die Glocken dabei, wie etwa bei der Taufe, bei der Heirat und beim Sterben."
-Thomas Werb, Dommesner
Am schönsten, da sind sich die beiden Mesner Dornheim und Werb einig, klingt für sie die Heinrichsglocke. Kein Wunder, schließlich soll sie zu den klangschönsten Glocken des Mittelalters zählen und – gemeinsam mit Kunigunde – gehört das Duo zu den wertvollsten (Klang-)Denkmälern der Welt. In früheren Zeiten brauchte es die Kraft vieler Männer, um eine Glocke dieser Größe und dieses Gewichts (über 5 Tonnen) zu bewegen.
Heutzutage läuft alles voll automisch und ohne körperliche Schwerstarbeit: „Glöckner 2.0“. Das hat mit dem Glöckner von Notre Dame wenig gemeinsam. Die Glocken werden gemäß der Läuteordnung digital programmiert und gesteuert. Diese regelt, kurz gesagt, zum einen das Zusammenspiel aller Glocken und bestimmt ebenso, zu welchem Anlass sie geläutet werden. Die Läuteordnung des Bamberger Doms stammt aus dem Jahr 1906 und wurde 1972 überarbeitet. Und auch in den Zeiten zwischendurch gab es immer mal wieder Änderungen. So wie gerade jetzt. „Eine Arbeitsgruppe arbeitet derzeit an einer Neufassung, denn im Hinblick darauf, dass der Dom Glocken von höchstem historischem Wert beherbergt, muss sichergestellt sein, dass sie ausreichend geschützt werden“, weiß Markus Willinger, Diözesanmusikdirektor im Erzbistum Bamberg. Heinrich und Kunigunde sollen nur noch zu besonderen Anlässen läuten.
Dass Glocken einem bestimmten Plan folgen, ergibt Sinn. Schließlich diente das Geläut früher, als noch nicht jeder eine Armbanduhr besaß, der Orientierung der Menschen. Das Geläut gliedert den Tag und gibt, sprichwörtlich, den Takt vor. Beim Läuten um 11 Uhr spricht man in einigen Gemeinden beispielsweise noch heute von „Klößglockn“, deren Geläut daran erinnert, dass es jetzt Zeit ist, das Mittagessen zu richten. In anderen Städten wird noch heute so geläutet, dass jeder weiß, wann die Stadttore geschlossen werden. Auch wenn es die Stadttore nicht mehr gibt (die zugehörige „Torschlusspanik“– in anderer Bedeutung – allerdings schon). Doch neben so irdischen Funktionen wie der Ansage der Uhrzeit ist da noch das Wichtigste: Das Geläut verbindet Himmel und Erde. Es erinnert uns daran, dass Gottes Liebe uns im Leben und im Sterben trägt. Das liturgische Läuten kündigt gottesdienstliche Versammlung und gottesdienstliches Geschehen an. Es lädt uns ein, im Alltag innezuhalten, es ruft uns zum Gebet und schließlich verbindet es Menschen, indem das Läuten den nicht Anwesenden die Möglichkeit gibt, an Freude, Gebet oder Trauer teilzuhaben. „Wenn es früher auf dem Land zur Wandlung läutete, standen die Bauern auf dem Feld still und ließen ihre Arbeit ruhen“, erklärt Sebastian Dornheim. Thomas Werb fügt hinzu: „Bei den wichtigsten Ereignissen im Leben eines jeden Menschen sind die Glocken dabei“, wie etwa bei der Taufe, bei der Heirat und beim Sterben.“
Treue Begleiter sind sie, die uns überdauern und mit ihrem gleichmäßigen Ton weiterhin ihren Dienst tun werden. Als klingende Zeugen der Vergangenheit einerseits, als Reminiszenz. Aber auch als Zeugen für die Ewigkeit. Zwischen Himmel und Erde.
Hier erklärt Diözesanmusikdirektor und Glockensachverständiger Markus Willinger die Läuteordnung für den Bamberger Dom.